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  • Stadt von oben

Morgen geht es los!

Start50
von einer der Reisenden
Start50

Der Tag zuvor:

Morgen geht es los. Ich bin aufgeregt, gespannt.
Alle PCR-Tests sind negativ. Die letzten Wochen haben sich meine Gedanken viel um diese Reise gedreht.
Wem werden wir begegnen? Wird alles klappen mit den Corona-Regeln, der Reise? Werden wir das Essen vertragen? Wie wird das mit der Sprache? 
Irgendwann habe ich festgestellt: Mir vorzustellen, wie ich in dieser Stadt überfahren werde oder wie ich eine Lebensmittelvergiftung bekomme, ist deutlich leichter. Weckt aber weniger die Vorfreude. Ich entscheide mich also, in meinen Gedanken zu all den guten und tiefen Gesprächen, die möglich sein können, zu wandern. Und zu träumen, was Gott alles mit und durch uns dort anfangen wird.

1. Tag

Wir sind gut angekommen. Werden gleich mal übers Ohr gehauen von unserem Taxifahrer. War zu erwarten, Herzlich Willkommen!
Wir checken ins Hotel ein. Etwas spärlich, aber keine Kakerlaken, ich bin erleichtert.

Dann los, in die Stadt, erstmal SIM-Karten kaufen.
Der SIM-Kartenverkäufer hat am gleichen Tag Geburtstag wie ich. Wir trinken einen Tee mit ihm.
Ein anderer Mitarbeiter, Yussuf* gesellt sich zu uns. Einer von uns hat ein „Wort der Erkenntnis“ für ihn. Ich soll übersetzen. Innen fängt’s an zu Rattern, nach außen lächle ich und produziere halbwegs zusammenhängende Sätze. Wir verstehen uns. Das erste Wunder dieser Reise. Die Worte, die Gott ihm durch uns sagt, treffen ins Herz. Das zweite Wunder.

Wir verbringen den ganzen Abend mit ihm. Er strahlt. Wir strahlen. Wir laufen durch die halbe Stadt, reden, essen, trinken Tee. Gegen 2Uhr fallen wir alle todmüde und mehr als erstaunt und dankbar ins Bett. 

2. Tag

Wir haben uns eine gute Tagesstruktur überlegt. Individuelle Stille Zeit, Frühstück, gemeinsames Gebet, den vorherigen Tag reflektieren, auf Gott hören, dann yallah, raus in die Stadt, rein in die Begegnungen. Wir werden selten vor Mitternacht zurück sein.

Meine Freundin hatte einen Traum. Wir nehmen daraus mit, dass wir Dinge schnell innerhalb des Teams ansprechen sollen, auch Kleinigkeiten. Das ist gut. Wir sind schließlich auch etwas angespannt, wie wir überhaupt hier gemeinsam funktionieren werden. Wir sind alle vier so unterschiedlich! Für Einheit müssen wir uns immer wieder entscheiden.

Es ist seltsam wieder hier zu sein. Lange her, dass ich hier war. Habe ich es vermisst? Den Lärm, das Chaos, den Staub, die Menschen? Von Corona scheint hier niemand etwas gehört zu haben – Menschenmengen überall, wenig Masken, offene Restaurants. Gott sei Dank bin ich immun.

Wir treffen einen Bekannten eines Freundes aus Deutschland. In einer reicheren und moderneren Gegend der Stadt. Na toll, ich habe meine Kleidung eher für Downtown ausgewählt. Hier wirke ich fehl am Platz mit meinem langen Rock und Bluse, hätte mir das mal jemand vorher sagen können?
Das Gespräch ist entmutigend: Das was wir machen und machen wollen, bringt nichts sagt unser Gegenüber. Wir müssten schon herziehen, wenn wir was bewirken wollen. Herzlichen Dank, für diese Klatsche.
Wir reflektieren das Gespräch: Es stimmen einige der Punkte. Aber wir alle vier können gerade nicht in diese Stadt ziehen oder die Sprache perfekt lernen. Haben auch nicht den Eindruck, dass Gott uns dazu gerufen hat und wir das nur ignorieren. Wir können nicht viel geben. Aber das was wir geben können, das geben und säen und gießen wir. Gerne. Und dann muss Gott die Saat aufgehen lassen.

Abends treffen wir noch meinen alten Freund Sami. Ich habe ihn seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Ich genieße die Begegnung. Wir reden über das, was ihn und die Menschen in dieser Stadt bewegt. Und nun auch irgendwie uns.

3. Tag

Auch heute beten wir wieder intensiv zusammen. Fragen nach Eindrücken für unseren Tag. Arbeiten einen Plan aus. Unser Bekannter aus dem Handyladen ruft an, ob wir nicht jetzt Zeit hätten. War nicht vorgesehen. Egal, wir teilen uns auf. Einer von uns trifft Yussuf. 

Wir anderen drei fahren zu einem Uni-Campus, gespannt ob wir reingelassen werden. Wir hatten den Eindruck, dass wir an diesem Ort anwesend sein und beten sollen. Ob wir mit Leuten darüber hinaus ins Gespräch kommen werden, wird sich zeigen. 
Auf dem Campus (ja, wir sind reingekommen), laufen wir rum. Beten. Kommen zu einem ausgetrockneten Brunnen. Wie sinnbildlich. Wir beten, dass der ausgetrocknete Boden dieser Uni, dieser Stadt gewässert wird. Dass die Wüste blüht und lebendiges Wasser fließt.
Wir überwinden Uneinigkeiten im Team und kommen mit einigen Studenten ins Gespräch. So richtig fruchtbar fühlt es sich dennoch nicht an.

Wir treffen uns später alle zusammen mit Yussuf  und seinem Sohn. 
Wir essen zu Abend. Yussuf lädt uns natürlich ein. Ich habe Kopfweh und bin müde – der fehlende (gute) Kaffee macht sich bemerkbar. Sehnsüchtig beobachte ich aus dem Augenwinkel, wie die Kellner Pepsis durchs Restaurant tragen. Ich hätte auch gerne eine. Aber wenn ich jetzt eine bestelle, wird Yussuf sie zahlen. Ich bin im Dilemma. Wir fangen an zu essen. Mein Kopf brummt. Ein Kellner kommt und bringt eine Pepsi für jeden. Verwirrung – es stellt sich heraus: Ein Geschenk des Mannes am Nachbartisch. Gott hat mich und meinen Mangel gesehen. Ich schlürfe meine Pepsi, sie schmeckt heilig.

Später laufen wir viel, chillen in der kleinen Konditorei des Sohnes, beobachten eine Schlägerei, trinken Tee und sprechen über Vergebung und die Freiheit, die mit ihr kommt. 

4. Tag

Inzwischen ist Ramadan. Fastenmonat der Muslime. Die Atmosphäre ist angespannter als sonst.

Wir sind mit Freunden von Freunden von Freunden verabredet. Eine christliche Familie. Mal sehen, was sich daraus ergibt. Der Familienvater Adam holt uns ab.
Auf der Fahrt dahin, springt ein Verrückter auf die Autohaube und lässt sich trotz Slalom und Bremsen nicht abschütteln. Wir fahren in ein anderes Auto rein. Dessen Fahrer ist nicht begeistert. Ein fremder Mann springt Adam zur Seite und steht für ihn ein. Gott sei Dank, das ging nochmal gut.

Wir hatten eingeplant, nur den Nachmittag mit der Familie zu verbringen. Abends haben wir noch ein weiteres Treffen. Wie deutsch, wie kulturell ignorant. Die Familie erwartet, dass wir den restlichen Tag mit ihnen verbringen. Wir sind im Dilemma. Irgendwie kriegen wir unseren Gastgebern kommuniziert, dass zwei von uns nochmal weg müssen. Wir fahren zu zweit in die Stadtmitte, um Joy zu treffen. Joy ist cool. Sie macht genau die Dinge, die wir auch gerne machen – mit fremden Leuten auf der Straße ins Gespräch kommen, für sie beten, Worte von Gott weitergeben. Wie ermutigend, dass Joy das hier als Einheimische macht.

Wir fahren zurück zur Familie. Essen Abendbrot. Lachen viel, haben tiefe Gemeinschaft. Unsere Füße haben heiligen Boden betreten. Diese Leute wollen ihre Kollegen und Freunde erreichen. Wollen Jüngerschaft leben, Gemeinde. In ihrer Familie, in ihrer Kultur, in ihrem Umfeld. Zum Abschied sagen sie uns: „Für solche Leute wie euch haben wir gebetet.“ Wir sind ehrfürchtig, denn: Für solche Leute wie sie haben wir gebetet.

5. Tag

Ich habe viel geträumt heute Nacht. Von Wasser, das Stufe für Stufe ansteigt. Von Menschen, die sterben. Von Ernte, die niemand sieht oder begreift. Wir singen „Desert Song“, im Team, wie in meinem Traum: „This is my prayer in the harvest, when favor and providence flow. I know I’m filled to be emptied again, the seed I’ve received I will sow.”

Heute müssen wir schon die PCR-Tests für die Rückreise machen. Wir bekommen verschiedene Eindrücke, dass es damit Probleme geben könnte. Eine große schwarze Hand, die unser Flugzeug zurückhalten will. Familienmitglieder, die den Eindruck haben, dass sie für uns beten sollen, weil wir vor einer Herausforderung stehen. In allen Eindrücken aber auch die Aussage und die Gewissheit, dass die Hand uns nicht zurückhalten kann, dass was auch immer da passiert, uns nicht schaden kann und Gott uns alle aus diesem Land rausbringen wird. Das Testen klappt dann auch eigentlich recht problemlos und es ist auch nicht zu teuer.

Wir treffen uns wieder mit Sami und seiner Gang. Danach gehen wir shoppen. Oder besser gesagt: wir versuchen es. Die Ecke vom Basar, in die wir rein laufen, ist ziemlich düster. Wir kriegen kaum Luft, alles ist komisch, wir wollen nur weg. Draußen atmen wir wieder. Und sind trotzdem halbwegs zufrieden mit unserem Einkauf. Mir geht ein Verkäufer nicht aus dem Kopf. Er hatte eine andere Ausstrahlung als dieser belastete Ort. Irgendwie friedlich. Morgen muss ich nochmal hin und ihm eine Bibel schenken.

6. Tag

Der letzte Tag. Heute Nacht werden wir schon zurückfliegen. Aber jetzt liegt erstmal noch ein voller wunderbarer Tag vor uns. Wir wollen unseren neuen Handyladenfreund Yussuf nochmal treffen. Und Sami.

Dann der Schock: Drei PCR-Tests sind negativ… der Test von meiner Freundin zeigt positiv an. Uff. Was nun? Wir beten. Wir erinnern uns an die Eindrücke und Zusage, die Gott uns gemacht hat. Wir glauben. Gehen in ein anderes Testzentrum und lassen nochmal testen. Genießen den Tag. Den Verkäufer von gestern finde ich leider nicht mehr. Aber in einem anderen Laden können wir der Verkäuferin einen „Liebesbrief von Gott“ geben, einen kleinen Zettel auf dem steht, was sie Gott bedeutet. Sie bricht in Tränen aus, ist sichtlich berührt. Wir beten für sie und ich gebe ihr meine Handynummer.

Abends gehen wir gespannt zu Testzentrum, um das neue PCR-Ergebnis abzuholen. 9Uhr soll es spätestens da sein, haben sie gesagt. Das passt – unser Flug ist um 1Uhr. Dazwischen wollen wir nochmal mit Sami und seinen Freunden abhängen. Stattdessen warten wir lange im Testzentrum. Das ist anstrengend. Wir versuchen zu beten, Lobpreis zu machen. Um 10.20Uhr ist das Ergebnis endlich da: Negativ. Wie Gott das gemacht hat – keine Ahnung. Dass er es gemacht hat: Definitiv! Wir sind fast high, zum lange Chillen bleibt keine Zeit, aber wir verabschieden uns noch von Sami. 

Mit ihm werden wir weiterhin in Kontakt sein. Genauso wie mit Adam und seiner Familie und Yussuf. Wir beten, dass Gott uns befähigt, die Beziehungen auch aus der Entfernung zu pflegen, bis wir wiederkommen.

Dann sitzen wir im Flieger. Was für eine wunderbare, seltsame, gesegnete Woche liegt hinter uns. 

Wieder zurück

Zurück in Deutschland. So surreal. Also alles. Diese Reise, das was wir erlebt und gesehen haben. Aber auch, dass wir jetzt alle in Quarantäne in unseren Wohnungen hocken. Wobei ich das gar nicht so schlimm finde. Nach 6 Tagen Reizüberflutung, jetzt erstmal Reiz-Ebbe. Die brauche ich, um alles nochmal zu erinnern und verarbeiten. Und um die nächste Reise (zumindest im Herzen) schonmal vorzubereiten.

* alle Namen geändert


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